Sicher hat es jeder mitbekommen. Da haben heute bei Amazon wenige hundert Mitarbeiter für höhere Löhne gestreikt. Alles passiert dort unter der Fahne von Verdi (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft).
In Deutschland arbeiten rund 9000 Menschen bei Amazon. Wenn an drei Standorten 300 bis 500 Mitarbeiter in den Ausstand treten und streiken, dann ist das ungefähr so, wenn innerhalb der Amazon-Beschäftigten ein aggressiver und ansteckender Magen-Darm-Virus umgeht. Und jetzt bitte mal „Hand aufs Herz“: Wegen ungefähr 500 Leuten, die mal für ein paar Stunden die Arbeit niederlegen, wird es im Versand kaum zu erheblichen Verzögerungen kommen.
Jobs fallen weg?
Wegen eines Streiks allein, fallen nicht gleich tausende Jobs weg? Hm, bei Amazon vielleicht schon. Immerhin ist bekannt, das der Onlineriese in Polen drei, und in Tschechien zwei neue Logistikzentren baut. Von offizieller Amazonseite sollen diese neue Zentren die deutschen Standorte nicht gefährden.
Amazon investiert laut einem Medienbericht auf Winfuture zwischen 50 und 60 Millionen Euro pro neuen Standort. Wer soviel Kapital in die Hand nimmt, zieht Konsequenzen aus den Streiks und dem seit Monaten schwelenden Diskussion mit Verdi. Es wäre durchaus vorstellbar, das die deutschen Standorte bald keine große Rolle mehr spielen – oder sogar geschlossen werden.
In diesem Fall hat es Verdi zu verantworten, das in Deutschland tausende Jobs verloren gehen (könnten).
Mitarbeiter wollen mehr Geld
Wo hat Amazon seine Standorte in Deutschland aufgebaut? In Regionen, welche eine hohe Arbeitslosigkeit hatten, bevor Amazon kam. Mit anderen Worten: Die Beschäftigten haben kaum eine andere Alternative außer Amazon. Es sei denn, die Leute sind willig einen Job woanders in Deutschland anzunehmen. Aber der Deutsche zieht nicht so gerne um …
Außerdem sind die meisten bei Amazon höchstwahrscheinlich „Geringqualifizierte“. Denn zum Pakete packen braucht es nun wirklich keine gesonderte Fachausbildung, die drei Jahre dauert und ein IHK-Zertifikat rechtfertigt. Und heute, wo besonders Fachkräfte gesucht werden, haben Arbeitsuchende ohne Ausbildung praktisch keine Chance.
Ich schätze das 6.000 bis 7.000 Geringqualifizierte bei Amazon arbeiten. Und die stehen vor der Frage: Amazon oder arbeitslos? Und die meisten wählen – verständlicherweise – Amazon. Ich würde auch Amazon wählen … da wäre jede Debatte überflüssig.
Amazon will billig?
Will Amazon die Löhne drücken, um die Gewinne zu maximieren? Nun, also betrachten wir die Realität mal etwas genauer. Angenommen ein Kunde kauft ein Buch zu einem Preis von 19,90€. Was bekommt Amazon netto raus?
- MWST 7%: 1,39€
- Bis zu 10% Provision für Amazonpartner: 1,85€
- Beschaffungskosten: ca. 10,00€
Wer jetzt mitgerechnet hat, der weiß, das noch 6,66€ zu verteilen sind. Davon werden Löhne bezahlt – einschließlich Arbeitgeberanteil. Außerdem werden davon auch die Betriebskosten bezahlt. Lagerung, Strom, Betriebsmittel (Förderbänder, etc.), und so weiter. Wahrscheinlich bleiben für Amazon selbst etwa 2,-€ bis 3,-€ übrig.
Wenn die Löhne jetzt also steigen, dann wird der schmale Gewinn durch die Löhne weiter gedrückt. Amazon kann also nur dann Gewinn erwirtschaften, wenn die Löhne nicht signifikant steigen.
Ein Unternehmen kann nur dann höhere Löhne zahlen, wenn die Wertschöpfung dies auch zulässt. Denn nur weil ein Mitarbeiter 5€ mehr verdient, setzt das Unternehmen deshalb nicht mehr um.
Geld das verteilt werden soll, muss vorher verdient werden.
Interessant ist übrigens auch, wie dieser Streit um höhere Löhne entstanden ist. Er beruht nämlich auf einem TV-Bericht, der sich im nachhinein als Falschdarstellung erwiesen hat. Weitere Details zum Fall Amazon gibt es auf Eltern-Zentrum zu lesen.
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