Ich habe lange überlegt, ob ich hier davon berichten soll oder nicht. Und jetzt tue ich es doch. Ich habe mir hier ein Glas Whiskey für die Nerven hingestellt. Ein Ardberg. 10 Jahre alt. Ich mag ihn, diesen rauchigen, torfigen Geschmack.
Die Berichterstattung in den Medien zu dem Unfall sind unsachlich, punktuell falsch und lückenhaft. Deutsche Pressekultur eben. Wer den Unfall gesehen hat, und die Artikel dazu las, der bekommt der Eindruck, dass die Presse an einem ganz anderen Ort war. Ein ganz anderer Unfall.
Aber beginnen wir von vorn. Wobei die Frage ist, wann dieser Anfang war. Vielleicht beginnt es dort, als ich auf der Beifahrerseite ins Firmenfahrzeug einstieg, und der Kollege mich nach Hause fahren sollte. Wir hatten einen erfolgreichen Tag hinter uns. Keine Frage. Und ich freute mich schon auf Duschen und ein eiskaltes Bier auf dem Balkon. Passend dazu wollte ich den Sonnenuntergang genießen. Vielleicht noch Grillen?
Es kam anders.
Wir kamen am Dienstag Abend aus Fürstenfeldbruck. Wir nahmen die B471. Wir kamen nicht schnell voran. Die Straße war an diesem frühen Abend sehr voll. Wir fuhren etwa 80km/h. In der entgegengesetzten Richtung war es nicht besser. Hinter der Ausfahrt nach Esting / Maisach passierte es dann.
Ein Kleinwagen direkt vor uns driftete nach links in den Gegenverkehr. Er wurde nicht schneller. Er wurde nicht langsamer. Es ging sehr schnell. Er änderte die Richtung nicht mehr. Auf der Gegenfahrbahn kam der LKW. „Das knallt gleich“ sagte ich erschrocken zu meinem Kollegen. Der bremste stark, der LKW versuchte auszuweichen, der PKW krachte in den LKW. Aber nur auf der Fahrerseite. Durch die Wucht des Aufpralls, und des veränderten Winkels durch den ausweichenden LKW, wurde der Kleinwagen wie eine Billardkugel weggeschossen. Es gab ein lautes Krachen, das wir durch die geschlossenen Fenster noch als laut empfanden. Der PKW flog über unsere Fahrbahn in die Büsche am rechten Rand. Überall flogen Trümmer. Kunststoffteile und Rohre mit einer hohen Blechstärke wurden einfach vom LKW weggerissen. Blechteile, deren Ursprung nicht mehr erkennbar waren, flogen über die Unfallstelle.
Nach einer Schrecksekunde steig ich aus dem Auto, und rannte einige Schritte zum völlig zertrümmerten Auto. Dann drehte ich mich um, lief zurück, und schrie meinen Kollegen an „Ruf die Polizei an!“. Dann machte ich wieder kehrt und wollte zum verunglückten PKW laufen. Da kam ein Krankenwagen in Sicht. Hinter mir hörte ich meinen Kollegen rufen „Wo sind wir hier?“ Die Sanitäter erreichten den PKW schneller als ich. Darum lief ich zurück, und gab an die Leitstelle unsere genaue Position durch, was passiert war und so weiter. Er gab durch seine ruhige aber gezielte Aussprache ein Gefühl von Sicherheit. Ich hatte nicht das Gefühl, alles alleine machen zu müssen. Es war, als wäre da ein Partner, der sich um alles kümmert, wenn ich nur genug Infos rüber gebe. Ich und mein Kollege haben dann die Leitstelle live auf dem laufenden gehalten. Und in Hintergrund hörte man, dass die Mitarbeiter der Leitstelle den Einsatz koordinierten.
An dieser Stelle vielen Dank an die Leitstelle. Ihr habt das echt gut gemacht!
In weniger als 10 Minuten nach dem begonnen Notruf waren Polizei, Feuerwehr und Rettungswagen vor Ort. Das war dann auch der erste Moment des Durchatmens für uns. Wir verabschiedeten uns von der Leitstelle, als die Einsatzkräfte eintrafen. Dann saßen wir beide da. Im Auto. Der Kollege auf der Fahrerseite. Ich auf der Beifahrerseite.
Eine ganze Weile sagte keiner etwas. Ich weiß gar nicht wie lange wir geschwiegen, und dem Treiben am Unfallort zugesehen hatten. Irgendwann sagte ich dann, dass das auch anders hätte ausgehen können.
Dann kam irgendwann eine Polizist. Der fragte uns, ob es uns gut gehe, und ob wir in Ordnung sind oder ob wir etwas brauchen. Wir waren im großen und ganzen in Ordnung. Aber ehrlich gesagt war mir schlecht, und ich hatte butterweiche Knie. Der Polizist nahm danach unsere Personalien auf, und meinte, wir sollten uns nicht vom Fleck rühren. Offen gesagt hatten wir heute Abend nix mehr vor. Kein Bier, kein Grillen, kein Sonnenuntergang. Dafür aber durften wir in unserem eigenen Bett schlafen. So viel war sicher. Und ich war dankbar dafür.
Eine Weile später sagte mein Kollege „Die leben noch! Das gibt’s ja nicht! Die leben noch!“ Die Rettungskräfte haben die Unfallopfer aus dem PKW echt lebend und ansprechbar geborgen. Wir haben später erfahren, dass es sich um zwei ältere Frauen handelt, und dass beide sicher aus dem Auto befreit werden konnten. (Soweit mir jedoch bekannt ist, verstarb eine der Frauen einen Tag später).
Ich muss zugeben, dass ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Minuten waren wie Stunden. Jedenfalls fragte ich dann meinen Kollegen, wie er eigentlich so schnell die Polizei anrufen konnte. Er sagte dann, er habe die Polizei nicht gerufen. Im Display des Fahrzeugs gebe es einen SOS-Notruf Button. Den hätte er gedrückt. Und die waren sofort dran.
Mir war immer noch schlecht. Darum stieg ich aus, öffnete die Heckklappe des Caddy und suchte mir etwas zu trinken raus. Ich hatte auch immer noch weiche Knie. Darum nahm ich die 0,5Liter Flasche Mineralwasser und setzte mich auf den Rand des VW Caddy. Mein Kollege kam wenig später dazu und tat es mir gleich. Dann kam eine Polizistin und fragte uns, ob es uns gut gehe. Wir sagten, es sei alles gut. Nur etwas weiche Knie. Etwas Smalltalk folgte, dann ging sie wieder.
Mein Kollege meinte dann „Schau mal, der LKW ist genau da zum stehen gekommen, wo die Leitplanke anfängt.“ Ich sagte darauf „Nein, schau mal, die Leitplanke ist unter dem LKW.“ Worauf er sagte „Oh Mann, stimmt.“.
Der LKW hatte eine Hebebühne geladen. Die Ladung hat sich trotz Ausweichversuch, schiefe Lage – weil LKW im Graben stehend – nicht ein Stück bewegt. Wer auch immer das Ding verladen hat, der versteht etwas von seinem Job.
„Wir haben heute Geburtstag“ sagte ich zu meinem Kollegen. Er stimmte zu. Das hätte auch ganz anders für uns ausgehen können.
Dann kam ein Hubschrauber. Der landete auf dem Feld. Und einige Zeit später wurde die erste Frau dann aus dem Wrack befreit, in den Hubschrauber getragen und ausgeflogen. Während das erste Opfer in den ersten Hubschrauber kommen sollte, kam noch ein zweiter Hubschrauber für das zweite Opfer aus dem PKW.
Wir saßen immer noch am Heck des VW Caddy. Inzwischen hatte jeder von uns seine zweite Flasche Mineralwasser getrunken. Und dann meinte mein Kollege, wir müssten unseren Chef anrufen und informieren. Irgendwie hatte ich verdrängt, dass ich noch im Dienst war. Mein Kollege rief dann an. Um es kurz zu machen: Uns hat keiner den Kopf abgerissen. Im Gegenteil: Chef erkundigte sich nach unserem Befinden. Alles gut soweit. Uns war nichts passiert. Wir hatten beide weiche Knie – immer noch. Aber soweit alles gut.
Der LKW-Fahrer erlitt einen Schock. Ihn trägt keine Schuld. Im Gegenteil: Der Mann hat mit seinem Ausweichversuch geistesgegenwärtig gehandelt. Wer weiß schon, was passiert wäre, wenn die wirklich frontal kollidiert wären?
Im nachhinein, und zwei Tage später, gehen mir die Bilder immer noch nicht aus dem Kopf. Ich hatte an dem Tag mehr als einen Sack voll Glück. Es hätte wirklich anders ausgehen können.
Ich danke meinem Kollegen für seine schnelle und geistesgegenwärtige Reaktion während des Unfallgeschehens. Ich danke den Einsatzkräften der Polizei, der Sanitäter, der Feuerwehr. Und ganz besonders möchte ich mich bei der Rettungsleitstelle bedanken.
Auf den folgenden Bildern sind keine Opfer. Die Fotos machte ich erst viel später. Auch aus Respekt.
Ein Dreckstag.