Der perfekte Mensch

Unsere Gesellschaft ist in einem Wandel. Jeder von uns ist aufgrund des herrschenden gesellschaftlichen Drucks dazu angehalten, ein perfekter Mensch zu sein. Schwächen haben höchstens Arbeitslose, Hartz 4-Bezieher und alles andere was man unter der „sozialen Unterschicht“ versteht.

Der eine oder andere wird jetzt, nach diesem ersten Absatz, schon mal tief Luft geholt haben. Trotzdem: Der „ideale Mensch“ in Deutschland ist nicht in der Unterschicht zu finden.

Der Ideale Mensch arbeitet täglich zehn Stunden – oder mehr. Wer nach oben will, der muss sich seinem Job voll und ganz hingeben. Und wer wirklich mal innerbetrieblich befördert werden will, der muss auch mal caritative Arbeitsstunden investieren. Die Firma steht allein im Mittelpunkt.

Trotz unzähliger Überstunden darf die Familie beim perfekten Menschen nicht zu kurz kommen. Am besten hat man keine Kinder, und muss – wenn überhaupt – nur zeitweise auf die Freundin in wilder Ehe Rücksicht nehmen. Die Freundin selbst ist natürlich auch an einer Karriere nach oben interessiert, und investiert leidenschaftlich viel Zeit in das eigene berufliche Vorkommen.

Der perfekte Mensch ist wenig Fleisch. Die Nahrungsaufnahme findet heute eh nur noch eine kleine Rolle. Für „nichts auf den Teller“ legt man gerne mal 40€ pro Nase auf den Tisch. Zur Belohnung bekommt man das Gefühl, nicht zum asozialen Pack aus der Unterschicht zu gehören.

Fleisch,Fisch, Gemüse und Obst ist natürlich Bio. Alles andere ist für den perfekten Mensch ungeeignet. Das genmanipulierte und mit Pestiziden oder Antibiotika verseuchten Lebensmittel sind der Unterschicht vorbehalten.

Der eigene Konsum ist natürlich auch ein sehr großes Thema. Auch wenn bessere Produkte zur Verfügung stehen würden: Sie werden nicht gekauft. Life-Style ist heute mit Status untrennbar verbunden. Teurer ist besser. Qualität ist Nebensache. Trendy und Überteuert sind die Sprache der perfekten Menschen.

Wer zur Mittelschicht oder noch höher will, dem muss das Geld locker sitzen. Wer vor „Freunden“ nicht mit dem Geld um sich werfen kann, der gilt als Arm und riskiert den Rauswurf aus der eigenen Gruppierung. Drei oder vier Kreditkarten sind schon fast zu wenig. Leben auf Kredit gehört einfach zum guten Ton.

Leistungserbringung ist – so paradox das auch klingt – kein Thema, weil man nicht wirklich daran interessiert ist Leistung zu bringen. Es geht darum nach oben zu kommen. Der Aufwand muss möglichst gering sein. Viel Schein statt sein. Mitreden muss man können, auch wenn man keine Ahnung hat – und umstehende das merken.

STOP!

Nein, es geht nicht mir so. Und ich vertrete diese Ansicht auch nicht. Aber es ist offenbar die gängige Meinung junger Erwachsener von heute. Immer wenn ich „Kontakt“ zu jungen Erwachsenen habe, dann sehe ich immer das, was ich gerade beschrieben habe.

Aber wahrscheinlich kann ich mich glücklich schätzen, das die sich mit mir unterhalten haben. Als alter Mann (fast 35) hab man „nicht mehr das Interesse nach oben zu kommen“.

Mit fast 35 gehört man ja auch nicht mehr zur „Zielgruppe“ des perversen Kapitalismus der Moderne.

Ich respektiere Küken. Und wenn sie älter werden, und ihr Klopapier selbst kaufen müssen, dann werden sie ihre eigene Position vielleicht nochmal überdenken.