Neulich saß ich in geselliger Runde im Biergarten. Und da kam mir der spontane Gedanke, das ich mich weder beobachtet noch eingeschränkt fühlte. Ein Luxus in diesen Tagen wie es scheint.
Verfolgt man die Nachrichten oder diverse Twitteraccounts, so kommt es einem vor, als hätte der Herr Snowden etwas aufgedeckt, von dem keiner etwas gewusst hatte. Jetzt sein wir mal ehrlich: Jeder der sich im Netz bewegt, der weiß auch, das er bis zu einem gewissen Grad überwacht wird. Und das ist nicht erst seit den PRISM-Enthüllungen so.
Auf der anderen Seite will ich die Vorgänge gar nicht herunterspielen. Aber wir müssen schon so fair sein, und die Geschichte sachlich betrachten. Und dann zeichnet sich ein ganz anderes Bild.
Gerade Deutschland hat in Sachen Überwachungsstaat ausgedehnte Erfahrungen. Wir hatten im dritten Reich die „Gestapo“, später in der ehemaligen DDR hatten wir die „Stasi“. Wir sind also ein „gebranntes Kind“ was die Sache mit der Überwachung angeht. Wir Deutsche wissen, was die Folgen sein können. Und deshalb sind wir auch so empfindlich.
Die USA können auf derartige Erfahrungen nicht zurückgreifen und haben deshalb auch ein ganz anderes Verständnis dafür. Diese Tatsache müssen wir den USA wirklich zugestehen. Und darüber müssen wir reden.
Wir in Europa reden schon lange über das Thema der Internetüberwachung. Es heißt nur nicht „Internetüberwachung“ sondern „Vorratsdatenspeicherung“ oder „Bestandsdatenauskunft“. Und wir haben immer noch keine vernünftige Regelung für Europa. Im Gegenteil: Wir streiten über das Maß der Überwachung, über die Vorteile, über die Nachteile und über den Schutz persönlicher Daten. Sogar die Persönlichkeitsrechte stehen zur Debatte. Insgesamt geht es also um einen sehr tiefen Einschnitt in die Freiheit und unserer Bürgerrechte.
Der Blick in die Vergangenheit lohnt sich
Möglicherweise kann sich der eine oder andere noch daran erinnern, wie die damalige Familienministerin um Websperren gegen Kinderpornos kämpfte – und letztlich gescheitert ist. Warum ist sie gescheitert? Zahlreiche Netzsperren hätten das deutsche Internet betroffen.
Viele wissen es nicht, aber wir in Deutschland haben die beste Infrastruktur bzgl. des Internetzes. Und wenn man einer damaligen Studie glauben darf, die untersucht hat, in welchen Ländern die Server stehen, auf denen das meiste kinderpornographische Material gespeichert ist, dann ist Deutschland ganz oben auf der Liste.
Am Ende haben sich die „Zensurgegner“ durchgesetzt. Es gibt de facto keine Netzsperren. Nur leere Versprechungen.
Die Verbrechensbekämpfung scheiterte also daran, das Netzaktivisten sich in ihren Persönlichkeitsrechten bedroht sahen. An die Opfer dachte in der Diskussion übrigens niemand.
Verbrechensaufklärung
Auch in der seit Wochen anhaltenden Debatte um die Überwachung stehen nicht die (möglichen) Opfer im Mittelpunkt, sondern das Mittel zur Aufdeckung. Die USA haben tausende Tote und zahlreiche verletzte zu beklagen. Ich frage: Wie viele Bürger müssen in Deutschland sterben oder verletzt werden, damit wir einsehen, das nötige Maßnahmen erforderlich sind, bevor etwas passiert?
Und bei der Antwort sollte jeder daran denken, das er selbst zu den Opfern gehören könnte …
Zensur ist schon lange da
Netzaktivisten fordern ein freies und offenes Internet für alle. Mit Regeln haben die das nicht so. M.E. braucht auch ein Internet klare Spielregeln. Und es braucht jemand, der die Einhaltung der Spielregeln kontrolliert.
Ein Vergleich: Niemand regt sich wirklich auf, wenn er über eine rote Ampel gefahren ist, geblitzt wurde, und dann eine Strafe zahlen muss. Letztlich zahlt er die Strafe, weil die Straßenstelle überwacht wird.
Wer im Internet ein Vergehen oder eine Straftat begeht, soll nicht belangt werden? Wollen wir wirklich, das man im Internet alles darf? Soll das Internet ein rechtsfreier Raum sein?
Wäre das so, dann brauchen wir keine Polizei die sich dem Kampf gegen Kinderpornos und illegale Downloads von Musik und Filmen widmet. Und was ist mit den anderen kriminellen Aktivitäten wie SPAM, Phishing, Urheberrecht, Identitätsdiebstahl und so weiter?
Transparente Geheimdienste
Geheimdienste operieren im geheimen. Und ihre primäre Aufgabe ist es, das Land und den Bürger zu schützen. Dazu gehört auch die Terroristenbekämpfung – sowie andere Netzverbrechen. Würde ich diese Tätigkeiten der Geheimdienste offen legen, dann haben die Verbrecher freie Fahrt. Will ich das?
Andere wollen die Geheimdienste sogar gleich ganz abschaffen. Und da muss ich jetzt doch mal nachfragen, ob jene in einem Zug sitzen wollen, der sein Ziel aufgrund eines Anschlags nie erreichen wird?
Edward Snowden ist kein Verräter
Herr Snowden ist in meinen Augen kein Verräter und kein Verbrecher. Er macht nur sehr medienwirksam darauf aufmerksam, das man über das Medium Internet sprechen muss. Und das nicht nur im geheimen Keller der NSA.
Er stellt vor allem heraus, das die USA daran interessiert sind, Anschläge wie 9/11 zukünftig zu verhindern. Er zeigt, das die USA nicht untätig sind. Tausende Tote fordern Konsequenzen von der Regierung. Vor allem rufen die Angehörigen nach mehr Schutz durch den Staat. Und den Bürger zu schützen ist eine staatliche Aufgabe – auch in Deutschland!
Die amerikanische Regierung war politisch gezwungen zu handeln. Das muss sich jeder mal klar machen. Wäre ein vergleichbarer Anschlag in Deutschland verübt worden, hätten wir alle auch nach Lösungen gerufen. Ich bin mir sicher, dann würden wir heute über die „Überwachung“ anders denken.
Frau Merkel im Neuland?
Die deutsche als auch die europäische Politik befindet sich in Sachen Internet tatsächlich in einem „Neuland“. Betrachten wir die Altersstruktur in der politischen Landschaft, so muss man Frau Merkel recht geben. Viele Alte und wenig junge Politiker sind da zu finden. Und die „jüngeren“ Politiker setzen sich gewöhnlich nicht durch – obwohl sie erheblich kompetenter wären.
Wie soll man denn einem 50-Jährigen Politiker das Neuland erklären? Der ist doch froh, wenn er seine Mails lesen und beantworten kann, ohne seinen Enkel um Hilfe zu bitten.
Es tut mir leid das so deutlich sagen zu müssen. Aber die technische Inkompetenz der Politik lässt sich auch immer an der Debatte um Ego-Shooter gut ablesen. Ein schöneres Beispiel gibt es nicht.
Was bzgl. des Internets beraten und politisch entschieden wird, erfolgt nicht auf der Basis von Fakten. Politische Entscheidungen bzgl. Neuland erfolgen durch Vorurteile, Behauptungen, Unwissen und der Wunsch das alte zu behalten und sich neuem gegenüber zu sperren. Das ist europäische – und deutsche – Internetpolitik.
Unternehmen im Netz
Selbst die deutschen Unternehmen sehen das Internet immer noch als eine Erfindung, die keiner braucht. Zahlreiche Unternehmen ignorieren die wichtige IT-Abteilung einfach. Allein das Thema „Update für Betriebssysteme und Anwendungen“ wird in kaum einem Land so erfolgreich ignoriert wie in Deutschland. Und heute ist man Dank Snowden aufgewacht. Plötzlich ist das Thema IT ganz oben auf der Tagesordnung. Und viele stellen fest, das sie nicht nur hinterherhinken, sondern technisch total zurückgeblieben sind.
Privat im Web
Auch ein wichtiger Punkt: Die Menschen haben erst seit der Diskussion um die „NSA-Enthüllungen“ damit angefangen, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie künftig das Internet benutzen wollen. Welche Daten möchten sie preisgeben und welche nicht?
Das Thema Datenschutz und digitale Welt gehört eigentlich schon seit zehn Jahren in den Unterricht. Aber zum einen kennen sich Lehrkräfte selten aus, und zum anderen ist der Sportunterricht viel wichtiger^^.
Für die grenzenlose Inkompetenz der Kultusminister habe ich keine Worte mehr. *sorry*
Tausche Freiheit gegen Sicherheit?
Wir müssen alle überlegen, wie weit wir überwacht werden wollen um dafür Sicherheit einfordern zu könnten.
Mich würde mal ein Gespräch darüber interessieren, in welchem konkreten Bereich ich eingeschränkt werde, während die NSA oder der BND mich überwacht.
Außerdem wäre interessant, ob die „Netzaktivisten“ wirklich einen rechtsfreien Raum wünschen – mit allen seinen Konsequenzen.
Ich gehe jetzt in den Biergarten. Und wenn der BND oder die NSA mitkommen wollen, dann bitte gerne. Wird bestimmt ein einseitiges Gespräch, aber immerhin hört mir mal jemand zu. Und das … ist doch auch mal ganz schön.