Warum ich keine Zeitarbeitsfirma gründe

Seit einigen Jahren schon beschäftige ich mich mal mehr mal weniger mit dem Thema Zeitarbeit. Gestern hat mir dazu jemand eine interessante Frage gestellt. Nämlich: Warum gründe ich keine eigene Zeitarbeitsfirma? Die Frage entstand aus einem laufenden Gespräch über die Arbeitnehmerüberlassung. Ich war sehr „pro Zeitarbeit“ in dem Gespräch und konnte viele Vorwürfe erklären und ausmerzen. Aber ich antwortete auf die Frage, das die Branche mit vielen Problemen kämpfe, die sie nicht im Griff hat oder nicht im Griff haben will.

Zunächst muss man sich vor Geschäftsgründung mit den Rahmenbedingungen intensiv auseinandersetzen. Bei der Zeitarbeit reicht es jedoch, an der Oberfläche zu kratzen, um die größten Probleme aufzuzeigen.

Zeitarbeit hat kein Wachstum

Eines der ganz großen Probleme in der Branche besteht darin, das es de facto kein Wachstum mehr gibt. Seit 2010 dümpelt man bei 800.000 bis 900.000 Beschäftigten herum. Das sind also bereits fast vier Jahre ohne Wachstum.

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze. Aber der wahrscheinlichste ist, das der Markt gesättigt ist. Obwohl dies schwer zu verstehen ist. Denn – eigentlich – bietet die Zeitarbeit ihren Kunden zahlreiche Vorteile.

Grundsätzlich halte ich die Arbeitnehmerüberlassung für einen Wachstumsmarkt. Doch die Rahmenbedingungen sind heute sehr schwierig. Dazu ist derzeit eine in der FDP-Xing-Gruppe ein interessanter Thread zu finden. Die Ansätze und Denkanstöße sind ein Blick wert.

Zurück zum Thema: Vor allem die Arbeitnehmer leiden heute unter den schlechten Rahmenbedingungen. Und damit kommen wir zum nächsten Punkt.

Tarifchaos

In der Arbeitnehmerüberlassung gibt es – wenn man so sagen darf – einen Haupttarifvertrag und weitere Branchenorientierte Tarifverträge, welche branchenabhängig den Lohn im Abstand von einigen Wochen erhöhen. Natürlich bekommt man nur dann die tariflichen Zulagen, wenn man in der jeweiligen Branche arbeitet. Wechselt der Arbeitnehmer den Entleiher, fängt die Wochenzählerei wieder von vorn an – oder fällt ganz weg. Je nach Branche und Einsatz.

Dieses Durcheinander einem geistig normalen Menschen zu erklären ist alles andere als einfach. Der Durchschnittsarbeitnehmer möchte eine Summe, auf die er sich verlassen kann. Das ist etwas, das es in der Zeitarbeit heute praktisch nicht mehr gibt. Zeitarbeiter verdienen heute Geld je nach DAX-Kurs. Mal mehr mal weniger.

Es ist ja selbst für mich schwierig zu verstehen, warum ein Arbeitnehmer bei gleicher Produktivität alle paar Wochen mehr Geld bekommt. Ich kann mich an Debatten erinnern, in dem es hieß, das die Wertschöpfung nicht gesteigert würde, und somit Lohnerhöhungen in der Zeitarbeit nicht gerechtfertigt sind. Soweit ich weiß, hat sich an dem Grundprinzip nichts geändert. Trotzdem sind die Branchenzuschläge heute Realität.

Fragen und Antworten

Und damit sind wir schon beim nächsten Problem. Die Arbeitgeberseite gibt auf Fragen entweder keine Antwort, oder sie sagt nur das, was schön aussieht. Und wer sich die Sachen genauer ansieht, der findet schnell selbst heraus, das da nur die halbe Wahrheit gesprochen wurde.

Ein Beispiel? Gerne! Über 80% der Beschäftigten, die nach DGB/iGZ-Tarifvertragswerk entlohnt werden, haben laut iGZ einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das sieht erst mal gut aus. Aber die werden alle nicht unbefristet Beschäftigt. Über die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse werden innerhalb der ersten drei Monate beendet – sagt die Statistik der Agentur für Arbeit (bezogen auf alle Beschäftigungsverhältnisse in der Zeitarbeit). Natürlich gibt es auf diese Konstellation ein logische Antwort. Aber das soll jetzt nicht Thema sein.

Das schöne erzählt man – das andere lässt man weg. Und so kommt man zu einem schlechten Image. Als Jungunternehmer hat man aber besseres zu tun, als sich mit einem schlechten Branchenimage herumzuschlagen.

Das Auftreten der Branche

Was mich auch stört, ist das Auftreten der Arbeitgeberseite. Zu Arbeitnehmern hin haben sie die Nase oft soweit oben, das ich sie nicht mehr sehen kann. Gegenüber Entscheidungsträgern der Politik haben sie regelmäßig die Hose gestrichen voll.

Derzeit diskutiert die Politik darüber, ob es eine Höchstüberlassungsdauer pro Einsatz geben muss. Warum das Unsinnig ist, habe ich hier ausführlich beschrieben. Die Branche reagiert mit Zittern, mit jammern und Horrorszenarios.

Bisher ist keiner auf die Idee gekommen, mal auf den Tisch zu hauen und zu sagen „Hallo da im Bundestag! Wir sind Arbeitgeber! Wir tragen das größte Risiko aller Arbeitgeber! Und auch mit weniger als 2 Prozent Marktanteil stellen wir immer noch rund 850.000 Arbeitsplätze in diesem Land! Wir sind nicht nichts!“

Fakt ist nämlich: Vor dem Gesetz haben die Zeitarbeitsfirmen die gleichen Rechte und Pflichten, wie jeder andere Arbeitgeber auch. Vom Gesetzgeber sollen sie aber jetzt ungleich behandelt werden. Fair ist etwas anderes. Aber die SPD hat es bekanntlich nicht so mit Fairness & Co.

Mindestlohn

Dauerbrenner Mindestlohn. Während sich die Zeitarbeit pünktlich zur Arbeitnehmerfreizügigkeit einen Mindestlohn verpasste, um sich vor Billigkonkurrenz aus dem „Ostblock“ (<-sorry) zu schützen, zeigt dies, wie sehr die Branche versucht ihre eigene Stellung zu sichern. Das EuGH hat dazu vor kurzem festgestellt, das der Mindestlohn so pauschal in Deutschland gar nicht gelten muss. In der WIWO kann man hier Details nachlesen.

Was heißt das? Wenn ich als Zeitarbeitsfirma jemanden zum Mindestlohn einstelle, dann regelt das Gesetz den Lohn. Nicht der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer. Warum ich den Mindestlohn als Ganzes ablehne, habe ich bereits im Oktober 2013 ausführlich dargestellt.

Im Klartext: Wer Helfer einstellt, der muss deutlich mehr zahlen, weil da sonst Probleme auftauchen könnten. Das Helfergeschäft in der Zeitarbeit wäre somit für mich uninteressant, weil zu risikoreich. man muss dann immer nachsehen, wo der Gesetzgeber gerade denkt, das der Mindestlohn stehen sollte.

Und vor Billiglöhnern ist man auch nicht sicher!

Eine Imagefrage?

Zeitarbeit hat sich seit ihrem Boom 2003 ein negatives Image zugelegt und stets dafür gesorgt, das es noch schlechter wird. Imagepflege wird praktisch nicht betrieben.

Naja, das stimmt nicht so ganz. Imagepflege wird schon betrieben. Aber die Arbeitgeber pflegen ihr Image nur untereinander. Nach außen hin bleibt es ohne Wirkung. Denn was keiner sieht oder hört, sieht und hört keiner.

Und – jetzt mal ehrlich – welcher Arbeitnehmer, der auf Jobsuche ist, durchforstet die beiden Websites der Arbeitgeberverbände nach positiven Nachrichten? Keiner! Macht auch keinen Sinn, weil die beiden Websites für Arbeitgeber sind. Logisch. Daran gibt es nichts zu kritisieren.

Ansonsten findet man Netz Titel wie Zeitarbeiter bekommt keinen Lohn, Leiharbeiter ohne Rechte, blablabla …. das da keiner in die Hände klatscht … das ist doch klar, oder?

Offen gesagt habe ich keine Ahnung ob der Branche etwas an Öffentlichkeitsarbeit liegt. Und wenn ja, wäre interessant, welche Ziele sie verfolgt und wie sie glaubt die gesteckten Ziele zu erreichen. Beim Arbeitnehmer kommt nämlich nichts an. Gleichzeitig soll der Arbeitnehmer aber für eine Branche arbeiten, deren Image praktisch weit unter Null liegt – natürlich auch zum o.g. Tarifdschungel. Das Ausbleiben von Wachstum hat Ursachen …

Aber in Bezugnahme auf die Frage nach dem Image ist seit dem Skandal um die Zeitarbeiter bei Amazon eine neue Frage für Kunden hinzugekommen. Ist es für mich als Unternehmen klug, Zeitarbeiter zu beschäftigen? Welche Risiken gehe ich ein, wenn es heraus kommt? Kann ich große Verluste mittelfristig verkraften, wenn es zu einem Shitstorm und Produktboykott kommt?

Übrigens: Ob das jetzt ein echter Skandal ist oder nicht, stellt sich dem Pöbel nicht. Insbesondere dann nicht, wenn alle Medien darauf herumreiten – außer ich natürlich.

Fazit

Ich würde heute keine Zeitarbeitsfirma gründen wollen.

3 Gedanken zu „Warum ich keine Zeitarbeitsfirma gründe

  1. absinthkoenigin@negteit.de'Schnupfi

    Das Problem ist doch auch, hätte sich die Zeitarbeitsbranche recht zeitig um einen grundsätzlich geltenden Mindestlohn innerhalb der Branche gekümmert, hätte der Gesetzgeber nicht mit dem Gefühl eingegriffen, etwas unternehmen zu müssen. Das passierte erst nach dem Skandal mit den christlichen Tarifverträgen. Ich glaube, die Branche war zu lange zu gierig und zahlt jetzt den Preis.

  2. Christian Tietgen Beitragsautor

    Die Zeit-Arbeitgeber stehen aber auf Skandale im Sperrbezirk 😉

    Manches kann man nicht fordern. Man muss es sich erarbeiten.

    Ist nicht zu ändern.

  3. Pingback: Die Macht des Wortes | Christian Tietgen – der Blog

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